Sprechen und Sprachentwicklung als ganzheitliches Ausdrucksgeschehen

Die ganzheitliche und im Besonderen die motorische Entwicklung des Kindes ist in den ersten Jahren auf Erforschung der eigenen Person und der Welt fokussiert. Dass Dinge der Welt auch einen Namen haben, ist eine wundervolle Entdeckung.
Mit ihr kann das Kind sein Beziehungsgeschehen gestalten.


Ich entdecke etwas für mich.
Ich setze mich engagiert damit auseinander.
Ich versuche handelnd die Welt zu verstehen.
Das hat Bedeutung.
Jedes Wort
ist begründet in einer leiblich sinnlichen Erfahrung.
Einer Welterfahrung.
Einer Beziehungserfahrung.
Ich wachse sprechend in eine werdende Welt hinein.

Sprache ist ein Beziehungsmedium.
Es ist Freude und Lust am Dialog.
Diese Freude steigert sich immer mehr, umso mehr Wohlbefinden das Kind in seinem Sprechen erlebt. Sprechfreude basiert auf anerkennenden Beziehungserfahrungen.

Sprache ist ein Inklusionsthema.
Sprache ermöglicht Teilhabe.
Würde niemand verstehen, wie es mir geht, gäbe es keine Gemeinsamkeit mit Anderen.

Um sich sprachlich und aktiv handelnd einzubringen, ist die Sicherheit einer wohlwollend zugewandten Welt grundlegend.
Zuwendung, die in Resonanz führt.
Mehrsprachige Kinder sind im Besonderen darauf angewiesen

Sprache ist ein Erfahrungsmedium.
Durch Bewegung und Wahrnehmung handelnd erfährt der Mensch die Welt.
Diese lebendigen, ganzheitlichen Eindrücke finden ihren Ausdruck in einem Wort, einem Wort-Schatz.
Doch die Welt, die durch Worte wiedergegeben wird, ist eine Andere, als die, die erfahren und empfunden wurde. Es wird verstehbar, wie sehr wir darauf angewiesen sind, ganzheitlich wahrgenommen, d.h. gehört zu werden.
Nicht nur das Wort zählt.

In der Kinderkrippe:
Paul, 20 Monate, liebt es auf der Rutsche im Gruppenraum zu rutschen, schnell übernimmt er das Wort „Rutsche“ in seinen Wort-Schatz.
Aus dieser körperlich – leiblichen Erfahrung entsteht die Beschäftigung mit Statik beim Bauen.
Er baut mit jedem Material kleine schiefe Ebenen und nennt sie „Rutsche“: Mit Bausteinen, mit Schwämmen, mit Stiften, mit Brettern …

Alles begann also mit einer Erfahrung, die eine Entwicklung in Gang setzte.
Alles begann mit einem Interesse, dem das Kind nachgehen konnte.
Und einer Pädagog*in, die sein Interesse wahrnahm und würdigte.
Die Sprache legt sich dazu.

Was brauchen Kinder für den Spracherwerb?

Beziehungen, die Halt geben und ermutigen.
Kinder, die sich sicher fühlen, drücken sich auch aus.

Aufgaben und Anregungen, an denen man wachsen kann, die individuelle bedeutsam sind.
Erfahrungen, die bedeutsam und begeisternd für das Kind sind, drängen nach
Versprachlichung und Ausdruck.

Zeit, die ausdrückt, dass mein Entwicklungs(tempo) geachtet wird.
Sprachentwicklung und Entwicklung ist kein linearer Prozess.

Sprechanreize durch andere Kinder.
Gleichaltrige, und ältere Kinder wirken sprachanregend.

Mehrsprachigkeit als Realität anzuerkennen.
Mehrsprachigen Kindern einen gleichberechtigten Dialog mit anderen Kindern zu ermöglichen.

Sprachförderliches Verhalten von Erwachsenen
Kommunikationen, die in die Weite, in Zonen nächster Entwicklung führen.

Quantität und Qualität des sprachlichen Inputs einen Wert geben
Ressourcen wie Bücher und Spiele einsetzen, in denen es nicht ums „still sein“ geht. Sprachförderung in handlungsorientierten und bedeutungsvollen Situationen einbetten. Aufgaben und Interaktionen, die von sich aus nach Versprachlichung drängen.

Der Alltag ist die dafür die wesentliche Bildungszeit.

Dies wird in einer Vielzahl von Veröffentlichungen hervorgehoben.
In alltäglichen Situationen entstehen soziale Ereignisse zwischen den Kindern, aber auch zwischen Erwachsenen und Kindern. Beim gemeinsamen Essen, im Spiel, beim Wegräumen, beim Anziehen, beim in den Garten gehen, im Bewegungsraum … gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten für sprachbegleitendes Handeln, für sprachanregendes Verhalten, für Dialoge mit Kindern.
Interessant ist, dass gleichaltrige, und ältere Kinder sprachanregend wirken. Sie sind für jüngere Kinder sozial attraktiv, ihr Verhalten, aber auch ihre Worte werden nachgeahmt, d.h. „abgehört“ und dann genau beobachtet, was die Worte des älteren Kindes bewirken.
Die Nachahmung, als ein Lernweg des Kindes wirkt.

Sprachförderkonzepte

Die Sprachförderung erlebt derzeit sowohl eine starke Fokussierung als auch
Medikalisierung.
Aktuell finden sich in den einzelnen Bundesländern Österreichs unterschiedliche Materialien zur Sprachstandserhebung und Sprachförderprogramme. Pädagoginnen sind aufgefordert durch Sprachbeobachtung und Dokumentation die Stärken und auch die Schwächen im Sprachverhalten einzelner Kinder zu erfassen. Dabei geht es auch um die Erfassung eines Sprachförderbedarfs.
Der Umgang damit, braucht besondere Wachsamkeit für die pädagogische Handelnden und kritisches Bewusstsein, denn:

  • Sprachentwicklung kann nur in einem ganzheitlichen Entwicklungszusammenhang gesehen werden.
  • Wenn Kinder sprachlich auffällig werden, kann dadurch die natürliche
    Kommunikation (auch in der Familie) gestört werden bis hin zu einem
    sprachentwicklungshemmenden Verhalten (z.B. Wörter abfragen, Kinder zum Sprechen zwingen, …)
  • Alle Kinder brauchen es, dass ihre kindlichen Äußerungen so akzeptiert werden, wie sie sind. Die Kommunikation muss im Vordergrund stehen – auch wenn die Sprache auffällig ist.
  • Wenn den Kindern vermittelt wird, dass sie ihr Sprachverhalten ändern
    sollen/müssen, kann das zu einem Verstummen führen, weil Scham eine Rolle spielt.

Aus pädagogischer Sicht brauchen Kinder mit einer Sprachauffälligkeit Angebote, die vom Defizit wegführen:
Großräumige Bewegungsangebote, Lust und Freude am gemeinsamen Tun mit anderen Kindern. Freies Spielen, als bedeutsame Form der Kommunikation, die tiefe Verbundenheitserfahrungen ermöglichen.
Alle Angebote für Sprachförderung sollten nicht isoliert angeboten werden und keine Sonderstellung in der Einrichtung einnehmen.
Sprachförderlich kann auch die Selbstreflexion der Pädagogin wirken:
Wie spreche ich als Pädagogin im Alltag mit den Kindern?

  • Kommt dem Kind eine aktive Rolle im Sprechen zu?
  • Ermögliche ich mehrsprachigen Kindern angesprochen zu werden, zu verstehen und verstanden zu werden?
  • Wie lange spricht die Pädagog*in, wie lange das Kind?
  • Wende ich mich dem Kind zu, das mich anspricht und zeige echtes Interesse an dem, was es mir mitteilen möchte?

„Auch Worte lassen sich verschenken,
und vielleicht hat Verstummen zuweilen damit zu tun,
dass niemand da ist,
der sie annimmt und zu würdigen weiß.
Worte können auch Leere hinterlassen,
wenn sie eingefordert und verlangt werden.“
(Seewald, Jürgen, 1992)