Interview zum Thema „Die Auswirkungen einer psychomotorischen Entwicklungsbegleitung (Bewegungsbegleitung) auf die kindliche Entwicklung“
Interviewte Person: Maga Michaela Steiner-Schätz
Interviewerin: Sarah Blöchl
Ort der Durchführung: Videokonferenz
Datum: 11.01.2021
Dauer des Interviews: 51 min 38 sek
1. Was hat Sie dazu bewegt sich der Motopädagogik zuzuwenden?
Es lag am Weg. Ich war zu dem Zeitpunkt schon Leiterin eines Kindergartens und habe vorher die Montessori-Pädagogik-Ausbildung gemacht und ich war irgendwie immer sehr offen für neue Wege oder andere Wege, das hat mich einfach immer interessiert. Und es lag sozusagen am Weg.
Es war dann so, dass es mich so fasziniert hat und ich hatte irgendwie das Gefühl, ich habe da ein Konzept gefunden, das für mich einfach alles beantwortet, was Pädagogik für mich beinhaltet oder sein kann. Und darum bin ich da hängengeblieben.
In welchem Berufsfeld waren Sie vorher tätig?
Ich war Kindergartenpädagogin, Hortpädagogin und habe in Wien einen Kindergarten geleitet, zuerst einen zweigruppigen dann einen fünfgruppigen. Das war das Tätigkeitsfeld. Als ich die Motopädagogik kennengelernt habe, hatte ich das Gefühl, mich auf diese zu spezialisieren und habe daraufhin den Kindergarten verlassen. Danach habe ich Pädagogik studiert und bin in die Erwachsenenbildung gegangen.
Was ist für Sie das Besondere an der Motopädagogik / Psychomotorik?
Ich habe immer das Gefühl, dass man nur geschichtlich verstehen kann, was das Besondere an der Motopädagogik ist.
Es ist also sozusagen ein Konzept, dass sich ganz stark interdisziplinär entwickelt hat. Dieser Begriff oder die Bedeutung von Bewegung, hat dem Sport gehört und war unter dem Aspekt von Leistung fokussiert. Also Leistung, Wettkampf das war die Frage des Sportes und der Bewegung.
Die Motopädagogik ist ca. in den 70er-Jahren entstanden und es war erstmals so, dass interdisziplinär geschaut wurde, wie kann Bewegung auf die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen einen positiven Einfluss nehmen, außerhalb dieses Wettkampfgedankens und (oder) außerhalb dieses Fitnessgedankens.
Und das ist für mich das Besondere der Motopädagogik, dass Bewegung interdisziplinär betrachtet wurde, unter dem Aspekt von Persönlichkeitsbegleitung.
Sie müssen sich vorstellen, dass es verschiedene Konzepte gab, einerseits die Heil- und Sonderpädagogik, die Rhythmik (mit Mimi Scheiblauer und Charlotte Pfeffer), die einen besonders starken Einfluss auf die Entwicklung der Motopädagogik hatte, andererseits aber auch die Montessori-Pädagogik und die Sensualisten.
Kiphard hat sozusagen aus unterschiedlichen Bereichen etwas herausgenommen, um zu schauen: „Aha, was wirkt da, im Sinne von Auswirkung, wie kann Bewegung noch wirken?“. (Und wirklich unter diesem Wohlfühlaspekt, unter diesem emotional-sozialen Aspekt.)
Die Motopädagogik war eigentlich das erste pädagogische Konzept, glaube ich, das nicht an einem Namen gehangen ist. In der Kindergartenpädagogik haben wir ja Fröbel oder Maria Montessori, also große Personen, Menschen mit Namen und die haben etwas entwickelt und dem ist man nachgegangen. Die Motopädagogik ist kein Name, sondern ein Konzept, das sich aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengesetzt hat, zum Wohl des Kindes mit dem Fokus, wie kann Bewegung wirken. Das ist in meinen Augen das Besondere an der Motopädagogik.
Wo liegt der Unterschied zwischen Psychomotorik und Motopädagogik?
Ja, da gibt es eine begriffliche Verwirrung. Meine grobe Antwort darauf ist, dass es fast das Gleiche ist, aber nur fast.
Die Motopädagogik hat sich ganz stark im deutschsprachigen Raum entwickelt. Da gab es das Fachgebiet der Motologie das wie Psychologie oder Biologie eine Wissenschaft ist. Die Motologie ist also die Lehre des Bewegungsgesamts. Aus dieser hat sich im deutschsprachigen Raum die Motopädagogik, aber auch die Mototherapie entwickelt.
Auf der anderen Seite haben die Franzosen gesagt Motologie, Motopädagogik, das interessiert uns nicht, bei uns heißt das Psychomotorik. Dadurch gab es im europäischen Raum zwei Konzepte, die nebeneinanderstanden.
Es gibt das europäische Forum für Psychomotorik, das versucht hat, diese Konzepte zu vereinen. Man hat sich daraufhin im europäischen Raum auf das Wort Psychomotorik geeinigt.
Jetzt gibt es die psychomotorische Erziehung = Motopädagogik und es gibt die psychomotorische Therapie = Mototherapie, wobei es in Frankreich nur die psychoanalytisch fundierte psychomotorischer Therapie, d.h. ein Psychotherapeutisches Verfahren, gibt.
Und wenn ich sage, es ist fast das gleiche, dann bezieht sich dieses fast darauf, dass im deutschsprachigen Raum die Motologie/Motopädagogik ein Stückchen mehr motorisch orientiert ist, während sich die Psychomotorik stärker psychisch orientiert. Aber es ist wirklich haarscharf.
Wie würden Sie Psychomotorik/Motopädagogik definieren?
Psychomotorik/ Motopädagogik ist ein ganzheitliches Konzept und es beschreibt Wechselwirkungen. Das heißt, wie wirkt das Körperlich-Motorische auf das emotional, kognitiv, sozial und psychische. Wie wirkt das psychisch sozial emotionale auf die Motorik.
Diese Wirkungen, die miteinander in Verbindung stehen, das beschreibt die Psychomotorik.
Es ist ja sehr spannend, wenn Sie sich das Wort Psychomotorik aufschreiben, dann steht in der Mitte aus der Zusammensetzung von Psyche und Motorik „homo“ für „Mensch“ und diese Wirkungen beschreibt die Psychomotorik.
Das Ziel der Psychomotorik ist Handlungskompetenz. Welche Bedeutungen haben die Wechselwirkungen für die Entwicklung von Handlungskompetenz. Das ist übrigens ein sehr schönes Wort, die Handlungskompetenz beschreibt, wie der Mensch verändernd wirken kann. Es ist die Kompetenz, Veränderungen zu bewirken, also etwas (bei) in mir zu verändern, etwas in der Welt zu verändern, sozial verändernd wirksam zu werden.
Welches Konzept/welchen Ansatz vertreten Sie?
Im deutschsprachigen Raum haben wir unterschiedliche Ansätze, wir haben Renate Zimmer mit ihrem kindzentrierten Ansatz, Jürgen Seewald mit seinem verstehenden Ansatz und ich bin einfach Österreicherin und habe hier auch sehr stark im österreichischen (europäischen) Konzept mitgewirkt.
Mein Zugang konzeptuell zu diesem Thema Psychomotorik/Motopädagogik ist, wenn ich handle, also mit Kindern arbeite, dann steht die Person im Mittelpunkt, der Mensch mit den Entwicklungsfragen und das ist sehr stark im österreichischen Konzept verankert.
Diese Entwicklungsfragen sind: Wer bin ich? Wie ist die Welt? Wer sind die anderen?
Diesen Fragen sind (wieder) Kompetenzfelder zugeordnet:
- Wer bin ich? Erfahre ich im Feld der Selbstkompetenz.
- Wie ist die Welt? Sachkompetenz
- Wer sind die anderen? Sozialkompetenz
Ich glaube, wir sind unser ganzes Leben unterwegs, um Antworten auf diese drei Fragen zu finden und als einjähriges Kind finde ich andere Antworten als ich in meinem Alter.
Je nachdem, wo wir unterwegs sind, wie alt wir sind, finden wir andere Antworten, diese sind aber hierarchisch nicht unterschiedlich, d. h., dass die Antwort eines einjährigen Kindes gleichwertig mit meiner Antwort ist.
Das ist das Menschenbild, von dem ich ausgehe, absolute Achtung vor diesen Entwicklungsfragen, wo wir wirklich alle gleich sind. Wir wissen es nicht, wir schwimmen sozial herum, wir schwimmen in Bezug auf uns selbst herum, wir sind für uns selbst das größte (Rätsel) Geheimnis überhaupt.
Gleichzeitig gehe ich als Leitung einer Gruppe immer in Führung, ich übernehme Verantwortung und ich führe.
Das Konzept, dem ich nachgehe, ist stets dem von Jürgen Seewald sehr nahe, der verstehende Ansatz, alles, was das Kind macht und veranstaltet, macht Sinn. Auch wenn das für mich von außen nicht immer ersichtlich oder verstehbar ist, wenn es rätselhaft erscheint, wenn es verdreht wirkt für das Kind. Doch für (und sein) seine Entwicklung muss in der Handlung immer irgendetwas liegen, dass sinnstiftend wirkt.
Es gibt einen Entwicklungsraum, ein Möglichkeitsraum und die Kinder können dort ihren Entwicklungsfragen nachgehen: Was interessiert mich? Womit will ich mich auseinandersetzen? Worauf will ich eine Antwort finden? Und dieser Prozess wird achtsam begleitet.
Welche wichtigen Ziele stehen in der Psychomotorik bzw. in der Motopädagogik im Vordergrund?
Es ist immer die Persönlichkeitsentwicklung, also auf die drei großen Fragen eine Antwort zu finden. Meine Persönlichkeit bildet sich durch die Antworten, die ich darauf finde und entwickelt sich dadurch auch ständig weiter.
Welche Bedeutung hat die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes?
So wie Persönlichkeit immer in Entwicklung ist, so ist auch das Selbstkonzept immer in Entwicklung.
Niemand von uns hat grundsätzlich ein positives oder negatives Selbstkonzept. Wenn ich zum Beispiel ein erfolgreiches Interview mit Ihnen geführt habe und das Gefühl habe, ja Sie haben mich verstanden, dann steigt sozusagen mein Selbstkonzept, wenn ich hingegen das Gefühl habe, ich konnte überhaupt nicht die Worte finden, die ich gemeint habe, dann wird mein Selbstkonzept sinken. Mit jeder Erfahrung verändert sich das Selbstkonzept.
Ich weiß, dass das positive Selbstkonzept und seine Auswirkung in der Literatur beschrieben wird, aber wissen Sie, ich denke mir manchmal bzw. das sind ganz aktuelle Gedanken von mir, es geht nicht darum, dass das Selbstkonzept positiv oder negativ ist, sondern, dass es eher umfassend ist. Damit meine ich, dass ich umfassend weiß, wer ich bin und darüber ein umfassendes Wissen habe, ein Wissen über mich.
Ich bin zum Beispiel eine ganz schlechte Mathematikerin, mein ganzes Leben lang gewesen und es geht sozusagen nur darum, das zu wissen. Ein Wissen darüber zu haben, dass ich das bin und einen Weg zu finden, um in der Welt damit umzugehen, ohne mich verstecken zu müssen oder ich mich beschämt herauswinden muss, sondern das als Teil von mir anzuerkennen.
Es geht mir nicht darum, dass alles positiv ist, im Sinne von man kann so stolz auf sich sein, sondern es ist eher bedeutsam Bescheid zu wissen über sich (mich). Das finde ich auch in Bezug auf die Begleitung von Kindern in der Motopädagogik ganz entscheidend.
Es geht nicht darum, ein übersteigertes Selbstkonzept zu haben, dass man ein Superstar ist, oder auch das Gegenteil, sondern eher das Bewusstsein: Alles was ich bin, darf ich sein, es gehört zu mir, auch die Schattenseiten, das Negative und wie kann ich auch Achtung vor diesen Anteilen meiner (der) eigenen Person entwickeln, auch als Kind.
Ich glaube, wenn die Kinder das haben, finden sie auch einen Weg in der Welt damit umzugehen.
In meinen Augen hängt das Selbstkonzept mit dem Weltkonzept zusammen. Mein Bild von mir, mein Wissen über mich – wer ich bin- wächst mit jeder Erfahrung und das ein grundsätzliche Vertrauen in mich (, so wie ich bin, das passt,) lässt mich offen in die Welt schauen und auf die Welt zugehen. Dadurch mache ich wieder viele Erfahrungen in der Welt durch meine Offenheit und das stärkt mich wiederum in Bezug auf mein Konzept, mein Wissen über mich. „Ah, ich kann in der Welt offen und kreativ agieren“, das bestärkt mich, dadurch gehe das nächste Mal wieder offen in die Welt.
Ich finde das Selbstkonzept besonders bedeutsam für das Soziale, was ist mein Bild, mein Wissen über mich als soziales Wesen.
Habe ich ein Bild von mir, dass ich in der Welt angenommen werde, so wie ich bin, lässt mich das anders in die Welt gehen als Kinder, die wissen, ich bin ein Störenfried, so wie ich bin, das passt nicht. Diese Kinder gehen mit einer großen Angst in die Welt, machen dadurch auch weniger Erfahrungen und das wirkt wiederum auf ihre Bildung aber auch auf ihr Soziales.
Es ist also gar nicht so unwichtig, dieses Selbstkonzept. Mittlerweile glaube ich, dass der soziale Teil des Selbstkonzepts für Bildungsprozesse eigentlich der wichtigste ist.
Welche Auswirkungen haben psychomotorische Angebote auf die Entwicklung der Kinder bzw. wie kann diese Arbeitsweise die Entwicklung der Kinder unterstützen?
Es geht in der Motopädagogik immer um Erfahrungen. Wir geben den Kindern die Möglichkeit, in der Motopädagogik Erfahrungen zu machen und sich auszuprobieren.
Mittlerweile nennt man den motopädagogischen Raum einen Möglichkeitsraum. Ich kann in diesem Raum etwas tun, es ist ein Ort, an dem für mich etwas möglich wird und dazu werden die drei Basisdimensionen Raum, Zeit und Beziehung angeboten.
Die Begleitung spielt hier eine ganz zentrale Rolle. Das Spannende bzw. meine Erfahrung ist, diese Erfahrungsräume/Möglichkeitsräume „wirken“.
Ich muss ehrlich sagen, ich weiß manchmal nicht genau, wo bedeutsame Erfahrungen für die Kinder liegen. Von außen sieht man das auch manchmal gar nicht so gut. Wir wissen oft nicht, welche Erfahrungen die Kinder in der Stunde machen, wir merken nur insofern, dass es wirkt, als dass sie wiederkommen wollen.
Man spürt den Antrieb der Kinder wieder teilzunehmen, sie warten oft die ganze Woche auf die nächste Stunde. Das, was mir mit meinem zunehmenden Alter immer bewusster wird, ist: Entwicklung dauert.
Es braucht oft vier, fünf, sechs Einheiten, bis die Kinder einmal angekommen sind und dann noch einmal zehn Einheiten, dass man das Gefühl hat, jetzt passiert etwas.
Es ist also gar nicht so einfach zu sagen, welche Auswirkungen die Motopädagogik hat. Wirkungen, die wir beobachten können, sind, dass sich die Kinder in diesen Räumen wohlfühlen in Bezug auf die Aufgaben, die sie bekommen sowie deren freie Begleitung, aber auch die Beziehungsgestaltung tut ihnen gut und sie empfinden motopädagogische Räume als Lernräume. Eine weitere Wirkung ist, dass die Kinder unglaublich intrinsisch motiviert sind, Problemlösekompetenz aufzubauen. Sie wollen mich eigentlich nur, damit ich ihnen irgendeine spannende Aufgabe gebe, dafür brauchen sie mich manchmal, manchmal auch nicht.
2. Welche Rolle spielt die Wahrnehmung in der Psychomotorik / Motopädagogik?
Wahrnehmung und Bewegung sind aus psychomotorischer Sicht verschränkt, es gibt keine isolierte Bewegungsförderung oder isolierte Wahrnehmungsförderung. Das ist das, worüber wir vorher gesprochen haben, jede Bewegung macht Sinn und in jeder Bewegungstätigkeit passiert Wahrnehmung.
Aus Sicht der Motopädagogik, ist alles miteinander verbunden. Es geht immer um Erfahrungen, jede Erfahrung beinhaltet alles: soziales Lernen, emotionales Lernen, kognitives Lernen, Handlung, Verständnis des Ablaufes, aber auch volitionales Lernen, also Willenskräfte aufzubauen und Wahrnehmungsschulung (übung).
Wahrnehmung ist nur in der Einbettung der Ganzheit zu verstehen. Alles andere gibt es nicht. Es gibt keine Wahrnehmungsförderung, es gibt keine Sprachförderung, es gibt auch keine emotionale Förderung, es gibt nur Erfahrungen und dort steckt immer alles drinnen.
Wenn die Kinder zum Beispiel Dinge durch den Raum werfen und dann hören sie, wie das klingt, wenn es ankommt, dann kann das nie nur unter dem Thema „Wahrnehmen von Geräuschen“ stattfinden. Auch wenn sie über ein Brett gehen, das wackelt, dann ist immer alles beteiligt, natürlich ist das Gleichgewicht angesprochen, aber auch der Kontakt mit dem Material, mit den anderen Kindern, mit den Emotionen, die damit verbunden sind. In Bildungsprozessen geht es ja immer um das Soziale und Lustvolle.
3. Wie kann man Wahrnehmungsstörungen mithilfe psychomotorischer Angebote verbessern?
Hier möchte ich Sie einfach einladen, dass wir als Pädagoginnen ganz heikel sind. Wahrnehmungsstörung ist kein Thema für die Pädagogik, das geht uns nix an, dafür sind wir nicht geschult, also ich auch nicht, obwohl ich auch Sonderpädagogin bin, aber wir sind dafür nicht geschult, das gehört eindeutig in den medizinischen Bereich, das sind Themen für die Ergotherapie.
Die Pädagogik fragt immer nach Persönlichkeitsentwicklung. Natürlich, wenn ich mit einem Kind arbeite, das eine Wahrnehmungsstörung hat, ist diese in meinem Blickfeld, aber nicht in meinem Fokus. Würden Eltern in die Motopädagogik kommen und sagen, unser Kind hat Schwierigkeiten in diesem oder jenem Wahrnehmungsbereich, das kann etwas Taktiles oder auch Propriozeptives sein, dann weisen wir immer gleich drauf hin, dass wir dafür danken, dass wir das erfahren, wir aber keinen therapeutischen Zugang haben. Wir stärken die Stärken der Kinder, wir schauen auf das was ihnen guttut: Auf was gehen sie von sich aus zu, was interessiert das Kind.
Wir vertrauen darauf, dass das Kind weiß, was gut für seine Entwicklung ist. Wir machen trotzdem die Erfahrung, dass es manchmal zu Verbesserungen kommt gerade im körperlich-motorischen Bereich, oder wenn es zu einer Zusammenarbeit mit einer Ergotherapeutin kommt, wir die Rückmeldung erhalten, hier passiert etwas. Aber es ist nicht unser Auftrag, Wahrnehmungsstörungen zu verbessern. Wir stärken das Kind und auch oft die Eltern.
4. Können psychomotorische Bewegungsangebote einen Beitrag zur Sprachförderung leisten bzw. können Sprachstörungen mithilfe motopädagogischer Angebote reduziert werden?
Man kann nicht sagen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Bewegung und Sprache gibt. Die Aussage „Kinder, die sich viel bewegen, sind sicher in der Sprache besser“, ist nicht richtig, da es keine direkten Zusammenhänge gibt, oder man sagt „Kind gehe in die Motopädagogik, dann wirst du gut sprechen“, das stimmt nicht.
Sprache ist im Grunde nichts anders als Abstraktion vom Konkreten zum Abstrakten. Zuerst kommt das Angreifen eines Glases und dann kommt das Wort Glas. Das Wort ist die Abstraktion vom Erleben und insofern kann man sagen, umso mehr Erfahrungen Kinder machen, umso mehr sie tun, desto mehr wird Sprache angeregt, und hier liegt der Gedanke: Eindruck führt zum Ausdruck. Kinder, gehen über ein Wackelbrett und sagen „Oh, wackelig!“. Es gibt in jeder Moto-Stunde am Schluss eine Reflexion, wo die Kinder eingeladen sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Dabei ist es spannend zu sehen, welche Kinder wann reden und wie sie miteinander kommunizieren.
Meine Gedanken sind, Sprache entsteht sowieso nur durch Kommunikation und zum Zweck der Kommunikation und Bewegung ist eigentlich Sprechhandeln. Jedes Versteinern-Spiel ist eigentlich ein kommunikatives Kunstwerk.
5. Welche Bedeutung/welchen Wert haben psychomotorische Materialien und Geräte?
Es geht immer um Erfahrungen, um Materialien die kindgerechte Erfahrungsräume öffnen.
Es gibt ganz viel Alltagsmaterialien, die verwendet werden, es gibt aber genauso psychomotorische Geräte wie das Rollbrett, es gibt aber auch Schaukeln, Schaukelbau sowie großräumige Geräte, die für die grobmotorische Arbeit im großen Turnsaal verwendet werden. Es gibt immer mehr Materialien, die vor allem für konstruktive Tätigkeiten verwendet werden, wie z. B. das Klebeband, wenn es darum geht, etwas zu bauen, zu konstruieren.
Aber es geht immer darum Materialien einzusetzen, die kindlichen Erfahrungen dienen.
6. In welcher Form werden diese Materialien angeboten?
Es gibt sowohl das Angebot, das die Motopädagogin sagt, so heute möchte, ich dass die Kinder experimentell mit den Bällen arbeiten, dann bietet sie zum Beispiel vier große Plätze an, auf einem Platz sind große Bälle, auf einem sind die Flummis, auf dem anderen sind lauter komische Bälle und am vierten sind nochmals andere Bälle. Die Kinder haben die Möglichkeit, sich einen Ball zu holen und auszuprobieren, wie man damit spielen kann, danach bringen sie ihn wieder zurück und holen sich einen neuen Ball.
Das wäre eine Variante, hier wird zum offenen Experimentieren mit dem Material eingeladen, dennoch wird es vorstrukturiert, damit der Raum immer wieder als Bewegungsraum frei bleibt.
Es gibt aber genauso Varianten mit Schwämmen oder mit Zeitungspapier, dabei könnte der Auftrag lauten: Probiert bitte aus, was man damit machen kann. Das Material liegt gemeinsam auf dem Platz in der Mitte und los geht’s.
Dann gibt es Stunden, in denen es ganz stark um das Konstruieren geht. Die Aufgabenstellung könnte dabei sein, Wege oder Balancierwege durch den Bewegungsraum zu bauen. Eine andere Aufgabe könnte sein, Sprungstationen zu entwickeln, die wir nachher ausprobieren können, oder wir wollen Kugelbahnen bauen. Hier steht das Bauen und Konstruieren im Vordergrund und hier wird den Kindern das Material vorstrukturiert. Sie bekommen z. B. 5 Joghurtbecher, 3 Seile, 1 Klebeband und Holzblöcke, die nächste Gruppe bekommt das auch. Jede Gruppe bekommt vorstrukturiert ihr Material, um damit zu legen oder zu bauen.
Das machen wir, damit die Kinder wirklich zum Bauen und Konstruieren kommen und nicht diesen Stress entwickeln: Wem gehört das? Haben wir genug?
Es gibt auch Material wie das Rollbrett, das wird so angeboten, dass es wirklich mit Regeln verbunden ist. Es gibt Regeln und an die müssen wir uns halten, z.B. man darf nicht darauf stehen und man darf nicht absichtlich zusammenfahren, bitte lange Haare zusammenbinden. Es werden also ganz klare Regeln erklärt und dann darf man das Rollbrett testen, Geschwindigkeit, stoppen usw.
7. Was ist das Besondere an einem motopädagogischen Angebot?
Das Besondere ist wirklich, dass die Kinder eigenaktiv und selbsttätig in Aktion treten. Sie bekommen einen Auftrag, eine Aufgabe und dann geht der Erfahrungsraum durch diesen Auftrag der Motopädagogik, auf.
Die Aufgabe der Motopädagogin ist es, diesen Raum zu halten und zu begleiten, was aber darin passiert, das liegt ganz stark bei den Kindern.
Auch die Beziehungsqualität zwischen der Motopädagogin und dem Kind spielt eine sehr wichtige Rolle. Werde ich gesehen? Werde ich anerkannt? Werde ich in Ruhe gelassen?
Ich empfinde diese grundsätzlich abwartende Haltung der Motopädagogin als besonders wertvoll.
Es gibt einen wunderschönen Satz von Aucouturier, ein französischer Psychomotoriker, der sagt, „Ich gehe mit dem, was das Kind mir gibt“. Wir in Österreich sagen oft „Das Kind dort abholen, wo es steht“, ich finde, das ist eine sehr schwierige pädagogische Forderung. Sich an dem auszurichten ist super, zu sagen „Wer bist du? Was brauchst du? Wie kann ich dich am besten begleiten?“. Bei einem Kind heißt das, ich als Motopädagogin gehe hinein und spiele auch ein Stück mit, um zu signalisieren, ich bin da und ich gebe dir Sicherheit. Bei einem anderen Kind heißt das, ich halte mich ganz zurück, ich bin da, aber ich warte ab, bis du mich fragst. Das Besondere ist sicher die Eigenaktivität und die besondere Form der psychomotorischen Begleitung.
8. Wie sieht die Gliederung einer Motopädagogik Einheit aus?
Das ist wirklich genial, jedes Land hat seine eigenen Zugänge, in Dänemark ist Psychomotorik zum Beispiel ganz stark mit Entspannungstätigkeiten verbunden auch für die Kinder. In Österreich haben wir das sogenannte „Phasenmodell“ entwickelt, die Gründerin ist Veronika Pinter-Theiss.
Das Modell ist durch ganz viele Beobachtungen entstanden (Kinder beobachten, Stunden beobachten) und aus eben diesen Beobachtungen hat sich dieses Phasenmodell entwickelt. Es ist schon sehr lange her, dass dieses Modell entwickelt wurde.
Es gibt den Begrüßungsteil, in dem die Motopädagogin jedes einzelne Kind begrüßt, wenn das in der freien Praxis stattfindet, dann begrüßt sie die Gruppe.
Anschließend folgt die sogenannte „extensive Phase“, in der es um Entspannung durch Entladung geht. Ganz einfache Spielformen wie Versteinern oder Laufen zur Musik und bei Musikstopp gibt es eine Aufgabe, können dabei der Inhalt sein. Es geht also darum, dass die Kinder ihren Bewegungsüberschwang entladen können, aber es ist eben auch eine Form der Kommunikation, wir nennen es „miteinander warm werden“, als Gruppe zusammenkommen. Die Motopädagogin spielt immer mit, um einen guten Kontakt mit den Kindern aufzubauen. Eine bessere Chance auf einen guten Kontakt mit Kindern gibt es gar nicht, als miteinander Versteinern zu spielen.
Die zweite große Phase ist die „intensive Phase“, das ist eigentlich das Herzstück motopädagogischer Arbeit. Der erste Teil ist experimentelles Handeln, die Kinder bekommen eine Aufgabe, gehen dieser Aufgabe nach und die Pädagogin begleitet sie. Manchmal führt dieses experimentelle Handeln in ein gemeinsames Spiel.
Man kann sich Stunden gut vorbereiten, man muss das auch, weil man sich einen Auftrag überlegen muss, der so formuliert ist, dass die Kinder gut ins Tun kommen können. Allerdings weiß man nicht, was passieren wird.
Auch nach so vielen Jahren der Tätigkeit ist es aufregend und spannend, was die Kinder machen werden. Wie wird das aussehen? Wie gehen sie an die Aufgabe heran?
Das braucht auch immer wieder ein bisschen Mut, sich auf diesen Prozess einzulassen.
Nach dieser intensiven Phase kommt die Entspannung.
Wir haben den Gedanken zu sportpädagogischen Arbeiten, da geht es oft zum Schluss noch mal mit der Energie hinauf, im Sinne von Saalausräumenspielen oder noch einmal ein schnelles Spiel und die Kinder gehen dann mit einer irrsinnig hohen Ladung in den Gruppenraum. In dieser Situation muss man sie auch irgendwie disziplinär wieder herunterholen. Die Motopädagogik versucht diesen Weg eben anders zu gehen. Am Ende der Stunde gibt es eine Entspannung, Rückführung auf den eigenen Körper und die Stunde endet nach der Entspannung mit der Reflexion. Reflexion heißt Rückschau halten auf die gesamte Stunde: Was war für mich wichtig/bedeutungsvoll? Wir fragen nicht „Wie hat es dir gefallen?“, um hier nicht in Bewertungsfallen hineinzutappen, sondern wir Fragen wirklich nach dem Lernen, ko-konstruktiv – was war heute für dich interessant? Was war spannend? Was hast du gespielt? Mit wem hast du gespielt? Was war herausfordernd? Welche Lösungen hast du gefunden?
Wir fragen und besprechen am Ende der Stunde, wie es ihnen im Umgang mit diesem Problem/dieser Aufgabe ergangen ist.
9. In welchen Bereichen / Altersgruppen werden motopädagogische Einheiten angeboten?
Es gibt alles Frau Blöchl, es gibt die Eltern-Kind-Gruppe, es hat sogar einmal eine Gruppe für schwangere Frauen gegeben, es gibt Eltern-Kind-Gruppen für ganz junge Kinder, es gibt eher altershomogene Gruppen – Kindergarten, Volksschule oder auch nur die 4-6-jährigen.
Es gibt auch die Arbeit für Menschen im Alter, für erwachsene Menschen mit Behinderung, es gibt auch eine Gruppe erwachsener Pädagoginnen, die sich regelmäßig in einem Turnsaal treffen, um miteinander Motopädagogik zu machen. Es gibt alles.
Wir haben in letzter Zeit immer wieder versucht, alterserweiterte Gruppen zu machen, also Kinder von 3 bis 10 Jahren, weil uns diese Straßenspielkultur sehr interessiert hat und wir haben damit auch sehr spannende Erfahrungen gemacht.
10. Wo gibt es die Möglichkeit, sich zur Motopädagogin / zum Motopädagogen ausbilden zu lassen?
Es gibt zwei Möglichkeiten, die eine ist an der Universität Wien, dort gibt es den Studienlehrgang Psychomotorik und die andere Möglichkeit, um in Österreich die Ausbildung zu machen kann ist Valeo. Letzterer ist auch der Bereich, in dem ich tätig bin, Mitunterrichte und Gesellschafterin bin.
Wir bieten eine vierteilige Weiterbildung für Pädagoginnen, Psychologinnen, Sozialpädagoginnen aber auch für Sportwissenschafterinnen an, in der man die Zusatzqualifikation Motopädagogik erwirbt.
11. Gibt es im Rahmen der Ausbildung auch spezielle Schwerpunkte?
Ich kann jetzt nur für Valeo sprechen, der Schwerpunkt ist eine Praxis-Theorie-Verschränkung. Die Motopädagogik wird sozusagen in vier Teilen selbst erlebt, als Teilnehmerin. Alles im Sinne von Erfahrungslernen, auch in der Ausbildung geht es um die Selbsterfahrung, selbst auszuprobieren und diese eigenen motopädagogischen Erfahrungen werden reflektiert und mit aktueller Theorie verschränkt.
Ist die Ausbildung zur Motopädagogin / zum Motopädagogen in Österreich anerkannt (eigener Beruf) oder zählt sie nur als zusätzliche Qualifikation?
Die Ausbildung zählt als zusätzliche Qualifikation, es gibt in Österreich kein anerkanntes Berufsbild. Im Grunde kann sich jeder Motopädagogin nennen. Wir bemerken zu unserer Freude, dass man das nicht macht. Seit Jahren schauen wir gezielt auf das, weil im Prinzip kann man ein Tagesseminar machen und sich Motopädagogin nennen, aber es ist nicht so. Es nennen sich jene Kolleginnen Motopädagogin, die wirklich eine Ausbildung haben.
Im Raum Wien werden jetzt auch immer wieder Motopädagoginnen gesucht, die für die Stadt Wien Gruppen machen, aber auch im Raum Oberösterreich wird gesucht. Dabei wird immer darauf geachtet, ob die Bewerber ein Zertifikat haben.